Der Judas des Leonardo by Leo Perutz

Der Judas des Leonardo by Leo Perutz

Autor:Leo Perutz [Perutz, Leo]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-07T00:00:00+00:00


Mit raschen und geschmeidigen Bewegungen schlüpfte sie in ihre Kleider, und als er, verliebten Sinns, sie noch einmal zu umfangen und an sich zu ziehen versuchte, entwand sie sich ihm, denn es war spät geworden. Mit einer kleinen lustigen Grimasse, indem sie die Mundwinkel hinabzog und die Augen verdrehte, nahm sie Abschied für diesen Tag von ihm, und in der Tür zeigte sie ihm mit den Fingern ihrer Hand, um welche Stunde er sie am nächsten Tag erwarten dürfe, und mit denselben Fingern warf sie ihm eine Kußhand zu. Dann verließ sie ihn.

Mit leisen Schritten lief sie die Treppe hinab. Als sie durch den Flur ging, hörte sie eine Türe knarren, und durch einen Türspalt fiel der flackernde Schein eines Kerzenlichts. Sie fand ihr Tüchlein nicht, sie mußte es oben bei ihrem Liebsten gelassen haben, und so verbarg sie ihr Gesicht hinter ihrem gebogenen Arm wie hinter einer schützenden Maske, und schon war sie zur Tür hinaus und auf der Straße des heiligen Jakob.

Oben in seiner Stube war Joachim Behaim mit allen seinen Gedanken bei ihr und in der vergangenen Stunde.

Nun ist sie die Meine, jubelte es in ihm, sie liebt mich, und es ist klar, daß ich der erste bin, dem sie sich ergeben hat. Solch eine schöne Person, jetzt erst weiß ich, wie schön sie in Wahrheit ist, und voll Liebreiz ist sie, – was bin ich doch für ein Glückspilz. Ist es nicht ein großes, mir von Gott geschenktes Heil, daß sie mich liebt? Und sie kommt morgen wieder. Dann aber muß ich etwas im Hause haben, um es ihr vorzusetzen, der Henker hol mich, Konfekt, Fruchtsaft, kleine Kuchen, Süßigkeiten, daß ich nicht schon heute daran gedacht hab! Ich bin vernarrt in sie, das ist klar, mordsmäßig hat es mich gepackt. Ich weiß nicht, wo ich bin, ob im Himmel oder in der Hölle. Man möchte meinen, der Himmel sei mir aufgetan, doch wenn sie nicht bei mir ist, dann hab ich keinen Frieden, dann ist's die Hölle. Morgen kommt sie. Ach, wenn das nur von Dauer bliebe, wenn ich alle Tage sagen könnte: Morgen ist sie bei mir. Nun freilich, da wir miteinander vertraut geworden sind, – aber was hilft das, die Welt, das Leben wird uns auseinanderreißen. Wenn ich sie behalten könnte! Für wen mühe ich mich? Daß Gott erbarm, was hab ich die Jahre hindurch für ein Leben geführt! Hin und her, zu Pferd, zu Schiff, bald zu den Griechen, bald zu den Türken, zu den Moskowitern, dann wieder nach Venedig in die Speicher. Wieder fort, auf die Märkte, an die Höfe, immer hinter dem vermaledeiten Geld her. – Gott helfe mir, was sind das für Gedanken? Bin ich denn nichts als ein Verliebter? Bin ich nicht ein Kaufmann, ein Mann der Waage und der Elle? Ich kenne mich nicht wieder, nein, ich bin nicht mehr derselbe. In welche Wirrnis bin ich geraten?

Er trat ans Fenster, stieß die Läden auf und ließ die Abendluft um seine Stirn wehen.

Meine Liebste ist sie, sagte er zu



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